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Gelati



Längs durch die Stadt zieht sich die Via Segantini, von der Sarce-Brücke bis zur Kirche, bis zum kleinen Park, wo dem Künstler ein Denkmal gesetzt ist. Das lobt die Vergangenheit.
Gegenwärtig schafft hier ein anderer Künstler. Er rührt, malt aber nicht. Er komponiert Farben, malt aber nicht damit. Seine Kunst weckt die Sinne, schenkt dem Publikum höchsten Genuss und kann in einzelnen, extremen Fällen orgiastischen Exzesse auslösen.
Seine Werkstatt ist die Gelateria Tarifa und seine Kunst ist Eis. Speiseeis, Gelato. Das ist nicht diese erstarrte Brühe aus kaltem Wasser, dem man etwas Farbe und E 327 beigemengt hat, dem arglosen Publikum als kleine harte Kugeln in eine essbare Pappe presst, wo man auf der Suche nach Geschmack Stücke aus der Pampe rausbeissen muss. Eisesser, vergesst diese Beleidigung, diesen Betrug am guten Geschmack.
Lasst uns mal ernsthaft über Eis reden.
Das ist doch unbeschreiblich. Natürlich ist es einfach köstlich.

Betritt man das Atelier, lacht sogar das kalte Herz. Da liegen sie in Schüsseln aus Edelstahl, die Kunstwerke, präsentieren sich in glänzend polierter Umgebung und schimmern in mildem natürlichen Glanz, eben hart genug, um gerade nicht hinzuschmelzen, verlockend weich genug um sie am liebsten alle sofort aus der Wartesschleife zu befreien.
Hat man sich sattgesehen, könnte man ja auch wieder gehen.
Doch gehen geht nicht. Noch während du in faszinativer Starre in der Welt der Kunst gefangen bist, taucht über dem Tresen das Lächeln auf. Könntest du schöner aus dem Eistraum erwachen? Hier lächeln alle, nicht nur weil sie guten Grund dazu haben. Am besten, du lächelst auch. Annika und Angela lächeln und auch der Künstler ist anwesend und freut sich über die Freude an seinen Werken.
Und wenn man mit ihm spricht, enthüllen sich einige Geheimnisse des Geschmacks. Fünfzehn Jahre Erfahrung gehören zu den Grundlagen ebenso wie die Auswahl der Zutaten. Da hat Marco di Matteotti den einfachen Geschmack von Oscar Wilde: einfach immer nur das Beste. Und davon auch jede Menge. Das Schokoladeneis schmeckt wie es heisst, auch deshalb, weil da ein halbes Kilo Schokolade hineinverschwunden ist. Im Malaga ist selbstredend nicht Malaga drin aber vollgesogene Rosinen, im Amarena sind immer Kirschen und es sind nicht nur die Biscuitstückchen im Tiramisu die dich hochziehen. Blödes Zeugs wie ACE oder andere neumodische Perversionen werden garnicht erst hergestellt. Aber was will man auch anderes erwarten, wenn der Künstler seine Kreationen zum fressen gernhat.
Doch wenn du lächelnd in die Realität zurückkehrst, dann kommt die Härte: du musst wählen. Wenn du Pech hast, sind es gut dreissig Sorten, die alle vernascht werden wollen. Nimmst du nur einen Geschmack bist du fein raus. Zwei Sorten... das muss geschmacklich durchdrungen sein. Melone mit Schokolade passt ja vielleicht nicht so gut... oder vielleicht doch. Vielleicht unten etwas Joghurt und obendrauf Panna Cotta, nein, mit Joghurt harmoniert Fiordilatte wohl mehr. Auch Schokolade mit Strachiatella geht prima, ist mehr für zwischendurch, wie "nur Amarena" oder Limone mit Frutti di Bosco. Nachtisch ist eher Schoko mit Vanille oder Nuttellata.

"Cone?"
"Si, medio per favore"

Schon taucht der Schaber ab, fährt geschickt in der Schüssel hin und her, zieht beiläufig eine Nuss oder eine Kirsche mit rein um mit elegantem Schwung geübter Hand die erste Lage im Hörnchen anzulegen, leicht schräg und auch ein wenig kokett. Wieder wird geschabt und obenauf türmt sich kühn und aufreizend die zweite Köstlichkeit. Noch etwas Form und Equilibrium und es ist fertig. In den sanften Schwüngen, auf denen vorwitzige Zipfelchen aufs Schmelzen warten, siehst du eine fruchtige Saftspur zur Kirsche, der deine Zunge begierig nachspüren will. Jetzt kommt dein Eis und dein Lächeln.

"Grazie!"

Noch das Wechselgeld verstauen und du hast es endlich geschafft. Endlich seid ihr allein. Jetzt könntest du über sie herfallen.
Blödsinn, du trittst wieder auf die Strasze.
Ein letzter Blick, dann schliesst du die Augen öffnest die Lippen - es ist ein warmer italienischer Sommerabend - und dann die erste Berührung. Du spürst die seidensanfte Kühle, die deine Geschmacksknospen aufblühen lässt, verdammtnochmal, du willst es am liebsten pronto im Mund fühlen. Reiss dich zusammen, geniesze, wie deine heissen Lippen zart die Frische aufsaugen, das gefangene Aroma aus dem sahnigem Schmelz in delikat schmeichelnden Balsam verwandeln. Das wirst Du gleich überall erleben, wo du schmecken kannst. Du setzt nach, umkreist spielerisch mit der Zunge den Eisberg, hinderst fluchtbereite Tröpfchen am Entkommen, lässt endlich deinen Mund am Erlebnis teilhaben, verteilst darin hingebungsvoll die ganze Symphonie aus Frische, Frucht, seidigkühler Sahnecreme. Nur schön behutsam, damit nicht gar die Zunge abkühlt und die Festmusik leiser spielt, ganz hinten an den Gaumen schieben und mitfühlend den ganzen Weg hinuntergleiten lassen. Zuerst mit schmeichelnder Zunge das Gebilde in verlustfreie Gestalt umschmelzen, dann kommt das kompositorische Vergnügen, mit Zungenspitzengefühl aus oberer und unterer Schicht neue Zwischentöne der Geschmäcker zu kreieren: mal mehr Panna Cotta, mal mehr Creme Caramel, mal pur oder fast pur oder wild durchmischt. (Jetzt nicht in die Tastatur sabbern!) Während du noch diesem Sinnesakt hingegeben bist, brauchst du wirklich nicht auf sarkastische Bemerkungen eventueller Begleitung achten, meistens reicht ein gepresstes "hmm" um den ungetrübten Genuss zu erhalten. Und jetzt bist du auch auf der Piazza angekommen, stehst vor der Kirche und kannst Dich schon mal auf den Rückweg machen, denn wenn alles gut gelaufen ist, kommst du gerade rechtzeitig wieder zur Gelateria Tarifa.
Die lächeln dann wieder.

Gelateria Tarifa * Marco di Matteotti * Via Segantini 51 * 38062 Arco